Ein „Schwellenland“ zwischen Globalisierung und Armutsbekämpfung
Jede Aussage, die man über Indien macht, wäre gleichzeitig richtig und falsch.
Dieses Land entzieht sich sozusagen jeder Art von Beschreibung, jeder westlichen Logik und klassifikatorischen Schublade.
Indien ist ein Land der Extreme, in dem alles, in einer riesigen Bandbreite, zu koexistieren scheint, und somit wird jeder Besucher, der sich wagt diese neue Dimension von Leben zu erfahren, mit einer unglaublichen Fülle an Erfahrungen überwältigt.
Die Straßen sind voll von Geschichten, von Menschen und von individuellen Schicksalen.
Es ist ein zerrissenes Land, das seine Identität auch nach über 50 Jahren Unabhängigkeit von der britischen Kolonialherrschaft noch lange nicht gefunden hat.
Bürgerkriege, jahrelange Konflikte, wie dem Kaschmir Konflikt, Korruption, Unterdrückung von Minderheiten, Diskriminierung, Ungleichheit, Sexismus und sogar separatistische Bewegungen prägen jeher das politische Geschehen, zeigen die inneren Widersprüche offen dar, spalten das Land und radikalisieren es.
Neben all den eklatanten sozialen Kontradiktionen ist es aber wichtig zu konstatieren, dass sich die demokratischen Strukturen in Indien verfestigt haben, auch wenn es bis zur funktionsfähigen und rechtsstaatlichen Demokratie noch ein sehr weiter Weg ist.
Der Mythos der „größten Demokratie der Welt“ existiert in dieser Form auch nur in idealisierten, westlichen Vorstellungen, denn die Realität sieht anders aus und lässt sich an den Säulen der Korruption ablesen, auf denen diese Demokratie aufgebaut ist.
Das Indien auf den Zug der Globalisierung aufgesprungen ist, lässt sich kaum abstreiten, doch gibt es wohl nicht nur Profiteure der weltweiten Vernetzung des wirtschaftlichen Handels, ganz im Gegenteil.
Globalisierungsbefürworter weißen gerne darauf hin, dass Wirtschaftswachstum auch zu einer Verringerung der Armut führt. Die Zahlen in Indien sprechen jedoch eine andere Sprache.
So scheint es absurd, dass sich trotz eines jahresdurchschnittlichen
Wirtschaftswachstums von 5-9% ( für Deutschland wird für 2010 ein Wert von 1,2 % Wachstum prognostiziert) , die Zahl der Menschen die unter der Armutsgrenze leben ( bezogen auf die westliche Welt würde diese Grenze bei 1,25 $ am Tag liegen) kaum verringert.
Statistiken zufolge leben heute 446 Millionen Menschen in Indien in extremer Armut, das entspricht im Landesdurchschnitt 37,2 %, das sind immerhin noch mehr als jeder dritte. Auf dem Land sind diese Zahlen sogar noch nachdrücklicher.
Armut, Hunger und kein Zugang zu Trinkwasser bestimmen das alltägliche Leben.
Die Globalisierung füttert direkt in die Kluft zwischen arm und reich, und in Indien ist es so dramatisch zu sehen wie in kaum einem anderen Land der Welt.
Vandana Shiva, eine indische Autorin und Aktivistin, schrieb sehr prägnant zu diesem Thema: „Gentechnik, Agrarindustrie und ökonomisches Wachstum verringern den Hunger nicht – Indien ist das beste Beispiel.“
Während indische Eliteuniversitäten IT-Fachmänner und Frauen für den internationalen Markt ausbilden, ist die generelle Bildungssituation in Indien erschreckend. Die Analphabetenrate liegt bei über einem Drittel der Bevölkerung.
Diese Diskrepanz zwischen haben und nicht haben, scheint wie fest verankert und wird durch das straffe Kastensystem noch verstärkt. Auch wenn die Wichtigkeit der Kaste in der Gesellschaft abnimmt, sind soziale Einteilungen und Diskriminierungen durch Kastenzugehörigkeit doch allgegenwärtig.
Auf welchem Weg ist Indien, und wo soll dieser Weg hinführen?
Die Dynamik des wirtschaftlichen Wachstums in diesem Land ist kaum zu übersehen, und in Megastädten wie Mumbai, Neu Delhi und Kalkutta, überbieten sich die Architekten mit gigantischen Projekten von Gebäuden und Wolkenkratzern.
Ein Streben nach Prosperität und Kapitalismus zeichnet das junge Indien , ganz nach dem amerikanischen Vorbild.
Das dabei 80% der Bevölkerung außer Acht gelassen werden, dass durch billige Importwaren die auf den indischen Markt drängen ganze Bevölkerungsgruppen verarmen und zu massiver Urbanisierung führt, dass Europäische und US amerikanische Agrarsubventionen so artifiziell niedrige Nahrungsmittelpreise kreieren dass indische Kleinbauern ihr Land reihenweise aufgeben müssen, dass taucht in kaum einer Statistik auf.
Doch sind es Menschen und Einzelschicksale die hinter solchen Fassaden stecken.
Schaut man hinter die 9% Wachstumsrate, dann trifft man Menschen, deren Alltagsleben nur von dem Wachstum der Sorge ums tägliche Überleben geprägt ist, und man trifft Menschen die sich einsetzten, um aktiv etwas für eine bessere, gerechtere Welt zu tun. Es sind Brücken der Menschlichkeit die dort gebaut werden und gebaut werden müssen, die Hoffnung geben.
Auf einer Reise durch Indien traf ich viele solcher Menschen mit dem festen Glauben an eine bessere Zukunft für die 1 Milliarde von Menschen weltweit für die Hunger ein Alltagsphänomen ist.
Jeder Mensch in der westlichen Welt, kann seinen eigenen Beitrag für eine gerechtere Welt leisten. Es sind kleine Dinge die diese Welt verändern können.
Montag, 25. Oktober 2010
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